POUSSIN,
Nicolas, französischer Maler und Kunsttheoretiker.
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* Juli
(n.a. auch Juni) 1594 in Villers-en-Vexin, Eure/Normandie, † 19.11. 1665 in
Rom.
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Vater Jean
P., Mutter Marie, geb. Délaisement. –
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Mit dem
Namen P. - neben Lorrain die bedeutendste Persönlichkeit der französischen
Malerei des 17. Jhs. - verbinden sich unlösbar Begriffe wie Klassik oder
Klassizismus. P. schuf einen vornehmlich von der Antike inspirierten Stil, der
ihn zum herausragenden Vertreter der klassizistischen Tendenzen innerhalb der
Barockmalerei machte und für die Herausbildung eines französischen
Nationalstils prägend wirkte. - Mit Ausnahme seiner Frühzeit sind wir durch P.s
Chronisten Giovanni Pietro Bellori, André Félibien, Joachim v. Sandrart und
Giovanni Battista Passeri gut über P.s Leben unterrichtet.
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Er
verbringt seine Kindheit auf dem väterlichen Hof, in dem kleinen Weiler Villers
nahe dem normannischen Ort Les Andelys. Sein Vater hatte in gehobener Stellung
unter Karl IX. und Heinrich von Navarra gedient, war aber kein »noble homme«,
wie es die Künstlerlegende des großen Sohns Frankreichs möchte. Überliefert
ist, daß P.s künstlerische Begabung früh zum Vorschein kam. Da er bei
unbedeutenden Malern lernte, mußte sich seine Bildung notgedrungen von den
großen Vorbildern autodidaktisch ableiten. Als der Provinzmaler Quentin Varin
1611/12 in Les Andelys einige Bilder für die Kirche malte, wird P. wohl dessen
Gehilfe und geht 1612/13 mit ihm 18jährig nach Paris.
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Auch P.s
Lehr- und Wanderjahre zwischen 1613-23 sind nur spärlich dokumentiert. Man
findet ihn in Paris, wo er kurze Zeit in die Werkstatt des niederländerischen
Porträtisten Ferdinand Elle eintritt, dann für einen Monat in die des
Manieristen Georges Lallemand; ansonsten zieht er von Auftrag zu Auftrag durch
die Provinz. Erwähnt sind u.a. Aufträge für Notre Dame in Paris und für das
Landschloß von Chiverny. Er erhält Gelegenheit, die königlichen Sammlungen zu
studieren und kann sich dadurch mit dem vorherrschenden Stil, dem Manierismus
der sog. 2. Schule von Fontainebleau auseinandersetzen.
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Erst mit
Raffael, den er durch Stiche kennenlernt, und Giulio Romano findet er
Vorbilder, die seiner Neigung zum »Klassischen« entgegenkommen. - P. unternahm
insgesamt drei Anläufe, nach Rom zu gelangen, wobei erst der dritte zum Ziel
führte. Beim ersten Mal kam er aus unbekannten Gründen nur bis Florenz, beim
zweiten Mal zwangen ihn Schulden bereits in Lyon zur Umkehr. 1622 war er wieder
in Paris. Dieser letzte Aufenthalt sollte sich aber für seine Karriere als
besonders wichtig erweisen. Durch seine Festdekorationen zum Kanonisationsfest
der beiden Jesuitenheiligen Ignatius von Loyola und Franz Xaver, erregte er die
Aufmerksamkeit des damals in Frankreich lebenden italienischen Dichters
Giovanni Battista Marino. Der Cavaliere, der ein hervorragender Kenner der
antiken Kultur war, wurde fortan der Förderer und väterliche Freund P.s. Die
nach ihm benannten Marinozeichnungen, 11 große lavierte Federzeichnungen
(August 1622 - April 1623), Interpretationen zu Ovids Metamorphosen, sind in
direktem Zusammenhang mit dieser engen Freundschaft entstanden und stellen P.s
einzige sicher überlieferte Arbeit der vorrömischen Zeit dar. Ansonsten ist das
in Frankreich zurückgelassene Werk der ersten Schaffensphase verschwunden und
nur bei seinen Chronisten Bellori und Félibien erwähnt.
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Ende 1623
oder Anfang 1624 machte er sich, nun zum dritten Mal, auf den Weg nach Rom, um
Marino in dessen Heimat zu folgen. Die Anfangszeit war schwer für P., zumal
Marino nach Neapel abreiste und bald starb. Immerhin gelangte er ab 1626 durch
dessen Empfehlung in den Kreis um den kunstfördernden und frankophilen Kardinal
Francesco Barberini und lernte durch diesen seinen zweiten großen Mäzen kennen:
Cassiano dal Pozzo. Fortan avancierte P. zu einem der geachtetsten Künstler
nicht nur Roms. Mußte er bis dahin Gemälde und Skizzenvorschläge für eventuelle
Interessenten auf Vorrat halten, arbeitete er bald nur noch auf private
Bestellung und war auch nicht mehr auf kirchliche Aufträge angewiesen.
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1630
heiratete er Anne-Marie Dughet, die Nichte des Malers und späteren P.-Schülers
Gaspard Dughet. Der sizilianische Edelmann Valguarnera erwarb ca. 1631 die
»Pest von Asdod« aus P.s Atelierbestand und gab das »Reich der Flora« in
Auftrag. Im Lauf der 30er Jahre festigte sich P.s Stellung im römischen
Kunstleben zusehens. Er wurde Mitglied der Accademia di San Luca, eine
Mitgliedschaft, die ausländischen Künstlern nicht ohne weiteres zuteil wurde.
P. hatte auch mit anderen in Rom lebenden Künstlern Kontakt, so mit Lorrain, der
seit 1627 dort weilte; Sandrart bezeugt freundschaftlichen Umgang der beiden
französischen Malerkollegen besonders für die Frühzeit. Bis in die Mitte der
30er Jahre bestand seine Kundschaft hauptsächlich aus Italienern, darunter
Cassiano dal Pozzo, an den z.B. die berühmte Folge der Sakramentsbilder ging,
und der Herzog von Voghera. P.s Ruf drang bald auch an den französischen
Königshof - Kardinal Richelieu hatte vier Bacchanalien erworben.
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Auf Drängen
des Hofes reist er 1640 nach Paris, doch wird dieser Verbleib P.s letzter
Aufenthalt in der alten Heimat werden. Die beiden Pariser Jahre sind nicht
zuletzt durch P.s Briefe die bestdokumentierten seines Lebens. Ludwig XIII.
empfängt ihn feierlich in der Residenz in St-Germain-en-Laye und stellt ihm ein
kleines Palais im Tuileriengarten zur Verfügung. Er wird mit der Ausschmückung
der Grande Galerie des Louvre betraut. Von der gewaltigen Dekorationsarbeit zum
Herkules-Thema für den 400 m langen tonnengewölbten Galeriegang zwischen dem
Louvre und den Tuilerien (nicht mehr vorhanden) zeugen heute nur noch die über
40 Stich- und Zeichnungsvorlagen. Auch war P. mit öffentlichen Aufträgen
überladen. So schuf er in der relativ kurzen Zeit seines Frankreichaufenthalts
neben den o.g. Entwürfen zwei Altarbilder (darunter eines für die Schloßkapelle
in St-Germain-en-Laye), zwei weitere Monumentalgemälde, Zeichnungen für
Titelblätter königlicher Prachtausgaben, Entwürfe für die »Manufacture des
Gobelins« und den Dekor der Orangerie im Luxembourg, dazu zwei Auftragsarbeiten
für römische Kunden. Hauptauftraggeber waren der König, Kardinal-Minister
Richelieu und der Surintendant des Bâtiments Sablet des Noyers, der P. direkt
vorgesetzt war und wenig Einsicht in P.s Eigenart hatte. Trotz der königlichen
Ehrbezeugungen und der hohen gesellschaftlichen Stellung fühlte sich P. unter
dem Arbeitsdruck und den aufkommenden Intrigen in Paris zunehmend unwohl, und
so kehrte er unter dem Vorwand, seine Frau nach Paris holen zu wollen, im
Herbst 1542 nach Rom zurück, wo man sich glücklich schätzte, den berühmten
Maler wieder zu haben. Bis zu seinem Tode im Jahre 1665 sollte er Italien nicht
mehr verlassen.
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Obwohl P.s
Mäzene, darunter auch dal Pozzo, ihre Stellungen unter Innozenz X., dem
Nachfolger des Barberinipapstes Urban VIII., verloren, wurde P. davon wenig
berührt. Zu den wichtigsten Gönnern und Auftraggebern zählte nun der schon in
Paris hervorgetretene Jean Pointel; 1655 kam mit Flavio Chigi als Alexander
VII. wieder ein kultivierter, frankophiler Oberhirte auf den Hl. Stuhl. Wie
sein Biograph Félibien, der 1647-49 in Rom weilte, in seinen »Entretiens sur la
vie et les œuvres des Nicolas Poussin« schreibt, klagt der Meister bereits in
diesen Jahren über zunehmende Beschwerden.
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In jener
Zeit entstehen die großformatigen Landschaften. Mitte der 50er Jahre entwirft
P. für den französischen Finanzminister Nicolas Fouquet Modelle für Plastiken -
Hermen und Vasen, die den Park von Vaux-le-Vicomte schmücken. Als Gegenleistung
bestätigt der seit 1643 regierende Ludwig XIV. seinen Titel als Hofmaler und
bezahlt ihm das Jahresgehalt ab 1643 nach. Allmählich führte P.s
fortschreitendes Leiden, das heute als Parkinsonsche Krankheit diagnostiziert
wurde, dazu, daß er in den letzten Lebensjahren kaum noch arbeiten konnte. Die
Anzahl der Bilder sinkt von sonst 9 bis 12 auf 2-3. 1665 stirbt er und wird in
San Lorenzo in Lucina begraben.
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P.s Werk
umfaßt antike und biblische Themen sowie Landschaften, wobei sich diese großen
Sujets in weitere Motivgruppen aufteilen lassen. Zum paganen Themenkreis gehören
mythologische Szenen, antike Historien und »Phantasien«, in denen er eine frei
Neuzusammenstellung poetischer Vorwürfe initiiert oder intellektuell fundierte
Gedankenbilder entwirft. Die religiösen Themen, in denen er ebenfalls die
antike Form zelebriert, umfassen Alt- und Neutestamentarisches. Die
Landschaften gehören seiner späteren Schaffensphase an. Die frühe, wohl von
Cavaliere Marino geweckte Vorliebe für antike Historien und Mythologien führt
zu intensiver Beschäftigung mit dem poetischen und bildnerischen Erbe des
klassischen Altertums. P., der selten ohne literarische Vorlage arbeitete,
stützt sich dabei vor allem auf Ovid, daneben sind Valerius Maximus und
Vincenzo Cartaris »Imagini de i dei degli antichi (1581) die meistverarbeiteten
Quellen.
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Zu den
ersten Ovidischen Gemälden der frührömischen Zeit zwischen 1524 und 30 gehören
- als eines der ersten erhaltenen Bilder überhaupt - »Aurora und Kephalus«,
»Venus und Adonis« und »Venus beweint Adonis«. Es handelt sich um anmutige,
mythisch belebte Kompositionen mit reichem Personal von Amoretten, Horen,
Flußgöttern und dergleichen. In der stilleren Venusklage sind die
Assistenzfiguren auf einen schlafenden Flußgott und einen Putto reduziert. Der
vom Fluch erlöste König Midas ist eine ungewöhnliche Darstellung des
Midasthemas. P. setzt dieses Ovidthema in eine spannungsvolle Beziehung: Der
König, dem einst alles Berührte zu Gold wurde, hat sich, durch Erfahrung weise,
entsagungsvoll in die Wildnis zurückgezogen und blickt auf den Jüngling, der der
Faszination des Goldwassers zu erliegen scheint. - In Rom bot sich nun wie
nirgends sonst die Gelegenheit, vor Ort die bewunderten Vorbilder systematisch
zu erschließen. Es werden Skulpturen vermessen, Reliefs, Mosaiken und
Wandbilder kopiert, doch läßt sich P.s innovativer Geist so gut wie nie zu
direkten Übernahmen verleiten. Die Studien der römischen und hellenistischen
Reliefs beeindrucken P. weit mehr als die großen Maler der römischen
Frühbarockszene, etwa Guido Reni oder Pietro da Cortona. So zeigen seine
frühesten römischen Arbeiten »Josuas Krieg über die Amoriter« und »Josuas Sieg
über die Amalektiter« (beide von 1625/26) deutlich die Kenntnis der
Trajansäulen-Reliefs.
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Auch bleibt
P. von Caravaggios bahnbrechender Neuerung um 1600 - dem Illuminismus, der von
Rom aus seinen Siegeszug in die Niederlande, aber auch nach Frankreich antritt
- unberührt. Ihn interessieren nicht die Dramatik des Hell-Dunkels, noch der
caravaggeske Realismus, sondern die große klassische Form, die sich rhythmisch
entfaltende Komposition von Figur und Raum und ein reliefhaft-plastischer
Figurenstil, der sich vor idyllischer Landschaft oder antikischer Architektur
aufrollt. Vielmehr knüpft er an Tizian an, etwa in seinen Bacchanalien der 30er
Jahre, oder an Domenico Zampieri und den großen Caravaggio-Antipoden Annibale
Carracci.
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P.s große
und dauerhafte Liebe galt der Antike, ob sie sich nun im sinnlich-fröhlichen
Bacchanal, in klassischen Liebesstoffen oder in Historien ausdrückte. Neben den
paganen Stoffen kleidet er aber auch die biblisch-religiöse Bildwelt in
klassische Form und verleiht den christlichen Gestalten einen antik-heroischen
Duktus. Poesie und Bildniswerke des Altertums werden zum inspirativen Fundus,
den er nicht selten zu neuen poetischen Bildfindungen verarbeitet, wie dies in
seinen »Phantasien« geschieht. Zu diesen gehört u.a. das berühmte »Reich der
Flora«, wo er bildnerisch das Ovid-Motiv vom Garten der Frühlings- und
Blumengöttin Flora variiert. P. läßt die Göttin im Tanzschritt Blumen unter die
jugendlichen Gestalten streuen, - allesamt in Blumen verwandelte Geschöpfe wie
Hyazinth, Narziß, Krokus, Adonis oder Klytia, die durch ihre Todes- und
Auferstehungsblume gekennzeichnet sind. Damit setzt er die gleichsam in einer
Gesamtschau gedeuteten Metamorphosen in ein interpretatives Bild um.
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Zu P.s
wenigen literarisch nicht vorgeprägten Bildkonzeptionen gehören drei thematisch
verwandte Tafeln aus seiner frühen römischen Zeit: Dichterauszeichnungen durch
Apoll. Es sind dies »Der Dichtertrank«, »Die Berufung des Dichters« und der
»Parnaß«. Man nimmt an, daß sie in posthumer Verehrung für den Cavaliere Marino
entstanden sind, der P. in die Dichtkunst der Antike eingeführt hatte. - Das
mythologische und das historische Ereignisbild als thematische Varianten der
Historienmalerei bilden zugleich willkommene Abwechslung des figuralen
Inszenariums. Neben das heitere Treiben von Nymphen, Silenen und anderen
Naturgeistern, neben Göttern und mythologische Gestalten treten die Heroen des
alten Roms, Germanicus, Scipio, Camillus, Coriolan.
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Zu den
frühest datierbaren Historien vor 1630 gehören der »Tempelbrand« und »Der Tod
des Germanikus«. Letzterer, für den Kardinal F. Barberini gemalt, wurde bald
eines der spektakulärsten und meistbewunderten Gemälde in Rom. Die figurenreiche
Sterbe- und Abschiedsszene stellt eine Begebenheit aus Tacitus dar, für die P.
ein antikes Sarkophagrelief zugrunde legte. Der vom neidischen Kaiser
vergiftete Feldherr nimmt auf dem Sterbelager von Familie und Gefolge Abschied.
Die Klarheit und Ausdruckskraft der Darstellung, sowie die Schönheit des
Kolorits nahmen die Betrachter gefangen.
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Überhaupt
waren die 30er Jahre P.s glücklichste und schaffensreichste Zeit. Es entstanden
eine Reihe biblischer Historien (u.a. »Davids Triumphzug«. die »Volkstaufe am
Jordan«), die sog. »Ovidischen Bittbilder« (»König Midas vor Bacchus«, »Phaeton
vor Helios«), die Flora-Bilder (»Reich« und »Triumph der Flora«) und die
heiteren Bacchanalien, Triumphzüge, Tanz- und Liebesbilder, aber auch
dramatische Massenszenen aus der römischen und biblischen Geschichte (die
beiden »Raub der Sabinerinnen« - Fassungen, die vier Mose-Bilder und der
»Tempelbrand von Jerusalem«). Während die Sabinerinnen und der Tempelbrand in
Stadtlandschaften angesiedelt sind, entfalten sich die Mose-Bilder sowie ein
für Richelieu angefertigter »Triumph des Pan« und ein »Jagdausritt« in der
freien Natur.
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Viele
der gestalteten Themen kreisen um Liebe, Tod und Abschiedlichkeit. Für den
Dichter und Kirchenfürsten Giulio Rospigliosi schuf P. drei Allegorien auf die
Vergänglichkeit - wie die »Dichterauszeichnungen« ohne literarisches Vorbild -
und von Bellori als »moral poesia« bezeichnet, darunter ein »Tanz des Lebens«
und ein Ideenbild von unvergleichlicher Stimmungsdichte: das berühmte »Et in Arcadia
ego«. Hirten in arkadischer Landschaft vor einem Grabmal, die das Memento mori
der Inschrift entziffern: »Der Tod ist auch in Arkadien«. Arkadien als
spätantiker Topos für pastorales Leben in idyllischer Harmonie wird hier in
eine moralisierende Sentenz einbezogen, wie sie sich zum ersten Mal auf einem
Bild von Guercino (1591-1666) fand, das P. wahrscheinlich gekannt hat.
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Es sind
nicht die großen heroischen Themen des Barock, die P. interessieren, sondern
die lyrisch gestimmten und gedanklich ergiebigen. Venus, Flora, Aurora und
Bacchus bevölkern mit ihren Lieblingen und Trabanten die Leinwand. Das
bevorzugte Venus-Bild ist nicht das der Beherrscherin des Herzen, sondern das
der unglücklich Abschiednehmenden. Wo etwa Jupiter vorkommt, so nicht als aristokratische
Bezugsmythe in Form des thronenden Olympiers, sondern als Knäblein. Und im
Gegensatz zu den freien Allegorien hat P. traditionell herrscherliche
Allegorien nur sehr selten gemalt, wie die »Veritas Victrix« die 1641 als
Deckengemälde im Auftrag Richelieus entstand.
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In den 30er
Jahren beschäftigt P. noch ein zweiter literarischer Themenkreis: Torquato
Tassos Epos »Gerusalemme liberata«, aus dem er drei Episoden aus der
Liebesgeschichte um die antiochische Heidenprinzessin mit dem christlichen Ritter
Tankred gestaltet; es sind dies »Tankred und Herminia«, »Carlo und Ubaldo«,
»Armida entführt Rinaldo«. Damit gelingt ihm wiederum die innovative Gestaltung
eines bis dahin ungewöhnlichen Themas.
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Einen
weiteren wichtigen Akzent in seinem Schaffen nehmen die biblischen Themen ein.
Auch die Gestalten der Bibel, des Alten und Neuen Testaments sind bei P. aus
dem Geist der Antike heraus entwickelt. Denn auch die christliche Welt deutet
er quasi-mythisch, als ewig-gültige Welt der Idealität und Schönheit. Das
Göttliche, ob antik pagan oder biblisch, wird zum Überhistorisch-Idealen. Fremd
sind P. die hochbarocken Grundmotive: das Jenseitspathos, die Transzendenz des
Irdischen oder die Verherrlichung des Märtyrertums. Und wo er dieses, wie etwa
in der Erasmus-Marter, auftragsbedingt formulieren muß, dämpft er dieses
Moment.
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In der
römischen Anfangszeit malte P., wohl um Käufer zu gewinnen, religiöse Gemälde
mit traditioneller Ikonographie. Doch bald zeigte sich auch hier seine Neigung
zu ungewöhnlichen Bildthemen. Das einzige erhaltene religiöse Frühwerk ist die
»Beweinung« von ca. 1626, die noch gewisse stilistische Mängel aufweist. Der
erste ehrenvolle Großauftrag und zugleich P.s erstes öffentliches Bild war das
»Martyrium des hl. Erasmus« (1628/29) für St. Peter, ein Thema, was P. wenig
lag. In seiner bewegten Gedrängtheit und Betonung der Diagonalen ist es wohl
das »barockste« seiner Werke. Ein weiteres Altarbild seiner frührömischen Zeit,
das im Aufbau an A. Carraccis »Assunta« erinnert, ist »Die Jungfrau erscheint
Jakobus dem Älteren«, bereits meisterhaft in Malweise und Komposition. Zwischen
1630 und 1640 entsteht nur noch ein Altargemälde, die »Hl. Margarethe«. Große
Altarbilder hat P. nur wenige geschaffen, häufig dagegen neu- und
alttestamentarische Historien, die in ihrer klassischen Schönheit zu den
unvergänglichen Werken der Kunstgeschichte zählt. Zu den frühen dieses
Themenkreises gehören »Die Pest von Asdod«. Die in der Kunstgeschichte
erstmalig thematisierte Szene aus dem Exodus war noch ohne Auftrag ausgeführt
worden. P., der zu Beginn der 30er Jahre noch nicht so bekannt war, erregte mit
der empathischen Schilderung der Pesttoten und Überlebenden in einer
beeindruckenden Stadtzenerie große Bewunderung. Schon hier klingt eines seiner
Grundthemen an: Die Vergänglichkeit des Menschen in einer überzeitlichen
Architektur. Erst in den späten Landschaftsbildern treten Ruinen auf - Mensch
und Architektur werden als vergängliche Erscheinung der überdauernden Natur
entgegengestellt. Vielfigurige Massenszenen sind auch der »Triumphzug Davids«
und die »Volkstaufe am Jordan«.
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Zu den
religiösen Bildern der frühen 30er Jahre gehören die zwei Epiphanien - die
innige »Anbetung der Hirten« und die von heftiger Bewegung getragene »Anbetung
der Könige«, zu den späteren neutestamentarischen Thematisierungen »Christus
und die Ehebrecherin« von 1653, die »Heilung der Blinden« von 1650 und die
»Heilung des Lahmen« von 1655, letztere eingebettet in antike
Stadtlandschaften. Während Heiligenbilder, Auftragsarbeiten wie »Franziskus in
converazione spirituali«, »Pauli Verzückung« oder die »Hl. Margarethe« eher
selten waren, gibt es, verteilt über die 30er, 40er und 50er Jahre zahlreiche
Hl. Familien von P., meist mit dem Johannesknaben, oft auch mit Putten; selten
auch die christlichen Standardthemen wie die Kreuzigung von 1645/46, die
ebenfalls eine Auftragsarbeit war, oder die hübsche »Ruhe auf der Flucht mit
Elefant« von ca. 1643/44. Die vier für den Bankier Jean Pointel, Freund und
Bewunderer der P.schen Kunst, zwischen 1645 und 1648 gemalten
alttestamentarischen Szenen »Der Knabe Mose tritt auf Pharaos Krone«, »Die
Auffindung des Mosesknaben«, »Elieser und Rebekka« und »Das Salomonische
Urteil« bezeugen den reifen, großen Stil der 40er Jahre. Meisterhaft und von großer
Schönheit zeigt sich die Figurenbehandlung, äußert sich die klassische
Formulierung der großen, statuarischen Frauengestalten, die anmutige Rhythmik
der Körperhaltungen und Gesten. Wie eine antike Götterstatue steht die
Pharaonentochter im Halbkreis ihrer sechs Jungfrauen, und die Lieblichkeit der
Mädchengruppe um die Begegnungsszene von Elieser und Rebekka, die treffliche
Schilderung von Rebekkas Verwunderung, machte unter den Künstlern Furore.
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Noch Ingres
war so beeindruckt, daß er Teilkopien davon anfertigte. Die dramatische
Gestaltung des »Salomonischen Urteils« gewinnt durch die monumentale Strenge
der mittelsymetrischen Komposition und die feierlich erhöhte Gestalt des
richtenden Königs ungeheure Konzentration. Auch hier wieder spielen sich alle Szenen
in oder vor antiker Architektur ab. Zu den späten alttestamentarischen Bildern
gehören etwa »Die Blinden von Jericho« und der »Tod der Saphira«, eine
Begebenheit aus der Apostelgeschichte. Figurenideal und Raumbühne kennzeichnen
ein Christentum, das aus der antiken Welt entspringt und sich in der Antikität
der frühchristlichen Gemeinde fortsetzt.
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Besonders
deutlich tritt dies in den zwei Sakramentsfolgen der 30er und 40er Jahre zu
Tage, die P. einmal für dal Pozzo, dann für Chantelou schuf. Diese beiden
anspruchsvollen Bildzyklen von je 7 Sakramentsbildern nehmen nicht nur einen
wichtigen Platz im Werk des Malers ein, sondern stellen auch eine
ikonographische Neuerung dar. In den 30er Jahren erhielt P. von C. dal Pozzo
den Auftrag, die fünf allgemeinen und die zwei Standessakramente zu malen. Als
Sekretär von Kardinal Francesco Barberini war dal Pozzo mit den
Sakramentsberatungen des Tridentiner Konzils beschäftigt, so daß die Idee, eine
ganze Sakramentenfolge zu gestalten, wahrscheinlich auf den Auftraggeber
zurückgeht. - Ungewöhnlich wie der Zyklusgedanke - denn bisher gab es
Sakramentsbilder nur in Einzelszenen - war auch P.s Bildfindung: antik gefaßt,
im altrömischen Habitus, setzt er sie in Historienbilder um. Er schildert jedes
Sakrament gleichsam in seiner Ursprungsszene, im Augenblick seiner
Institutionalisierung. Das erste Gemälde war wohl die feierliche Gestaltung der
»Ehe«, letztes die erst nach seiner Rückkehr aus Paris vollendete »Taufe«. Die
dem Gegenstand entsprechende weihevolle Würde, die Erhabenheit von Figuren und
rahmender Monumentalarchitektur, sowie die kompositionelle Ausgewogenheit
machen diesen Bilderzyklus in seiner vollendeten konzeptuellen Durchdringung
von Bildaussage und -form zu einem Hauptwerk des strengen Klassizismus.
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P.s Gönner
und Verehrer Paul Fréart de Chantelou war so begeistert, daß er für sich auf
eine Wiederholung drängte. So entstand zwischen 1644 und 1648 eine zweite
Folge. Sie entsprach in ihrer gesteigerten Monumentalität von Figuren und
Architektur, die durch die niedrigeren und schwereren Innenräume und die in
Relation zur Bildfläche noch größeren, fast theatralisch wirkenden Gestalten
entstand, so sehr dem Zeitgeschmack, daß sie ein Kenner »die schönsten Bilder
der Welt« nannte.
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Ein
weiteres großes Thema P.s ist die Landschaft. Zunächst spielte sie, als reines
Ambiente, eine untergeordnete Rolle. Innerhalb der früheren Bilder der 30er
Jahre hat sie ein gewisses Gewicht nur bei »Narziß und Echo«, der »Volkstaufe«
und »Pan und Syrinx«. In den 40er bis 50er Jahren entstehen jedoch Bilder, bei
denen die Landschaft als solche starken Eigenwert gewinnt. Wo früher die
lyrisch-arkadische Landschaft nur die Raumbühne für das Geschehen bildet,
entwickelt sich die Naturschilderung in den späten Landschaften von 1648-52 zum
integralen Bestandteil des Bildes. Die Figuren werden kleiner, die Natur rückt
aus der Rolle der bloßen Hintergrundsfolie und wird thematischer Bestandteil.
So in drei kontrapunktisch bezogenen Bildpendants »Matthias und der Engel« und
»Johannes auf Patmos«, in den beiden Straßenbildern (»Römische Gräberstraße«
und »Landschaft mit jungem Paar vor einem Monument«) und in »L' orange« und »Le
calme« (»Schloß in heiterer Landschaft«), wo die Natur die figuralen und
architektonischen Bildelemente in ihrer Stimmung, Handlung und
Charakterisierung aufnimmt und prägend mitbestimmt. Die heitere »Ruhe« ist im
übrigen P.s einzige Pastorale.
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In den
Jahren zwischen 1648 und 1652 entstanden dann die großen klassischen
Landschaften. Hier sind vor allem die »Landschaft mit Diogenes« von 1648, sein
erstes großes Landschaftsbild, zu nennen. Offensichtlich ist es nach
Naturstudien entstanden, da die Gestaltung von See und Schloßhügel, der Himmel,
Wald und Weg genaue Detailbeobachtung verraten. Zudem wurden die Figuren erst
später hinzugefügt und erhalten dadurch, wie bei Claude Lorrain, nur noch die
Funktion von Staffagefiguren. Aber auch P. geht nie so weit wie die
niederländischen Landschafter und verzichtet ganz auf die Figur. Die Natur
bleibt durch die Historie mit dem Menschen verbunden, wenngleich letztere sich
oft nur noch als »Vorwand« ausnimmt, wie etwa in den beiden Phokion-Bildern, wo
P. in der Verbindung von heiterer griechischer Landschaft mit klassisch schöner
Architektur seinen Traum von der Antike feiert. P. Landschaftssujets zeigen
meist Gebäude inmitten von Hügeln, Wiesen, Seen und Laubbaumgruppen, niemals
aber mediterrane Bäume. Nach dem »Diogenes« entstand eine ganze Reihe von
Landschaften, die jedoch, da die Italiener kaum Interesse an diesem Genre fanden,
fast durchweg für französische Abnehmer bestimmt waren. Auch hier wieder wählt
P. durchaus ungewöhnliche Themen oder Themengestaltungen, drei stammen wieder
aus den Metamorphosen (»Polyphem«, »Landschaft mit Pyramus und Thisbe«,
»Orpheus und Eurydike«), die anderen sind, wie die Landschaft mit dem
»Schlangendrama« nicht identifizierbar.
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1658
beginnt P. mit den großen Alterslandschaften, den »Vier Jahreszeiten«, die zum
Schönsten, gewiß aber zum Geheimnisvollsten gehören, was P. - nunmehr schon
erheblich durch die Geißel seiner Krankheit behindert - geschaffen hat. Zum
Thema des Jahreszeitenzyklus gelingt P. ein großartiger Entwurf. Bislang wurde
dieser gerne, wie etwa im »Phaeton«, durch die mythologischen Repräsentanten
Flora, Ceres, Bacchus, Pluto oder durch jahreszeitlich attribuierte Putten
dargestellt.
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P.s völlig
neue Bilderfindungen geben trotz ihrer Anknüpfung an alttestamentarische Themen
der Kunstwissenschaft ikonographische Rätsel auf. Er setzt das
Jahreszeitenthema in vier großformatige Landschaften um, in die er kleinfigurig
gehaltene Episoden aus dem Alten Testament einfügt: Der Garten Eden wird zum
Frühlings-, Ruth vor Boas im Kornfeld zum Sommer-, und die Traube aus Kanaan
zum Herbstbild. Den Winter stellt P. nicht als vegetative Ruhepause dar,
sondern gibt in der Sintflut eine Vision vom Weltenende, wie das Paradieses-
oder Frühlingsbild den Beginn artikuliert. So werden die Jahreszeiten
übertragbar auch auf Menschheits- und Weltalter. Der Winter gerät zu einer
unheimlichen und gewaltigen Untergangsszene.
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Dieser
grandiosen Eigenschöpfung, die gleichsam sein Lebenswerk beschließt, folgt nur
noch ein einziges, nicht mehr ganz vollendetes Bild »Apollo und Daphne«.
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Der
Verehrung des Malers durch die Zeitgenossen verdankt die Nachwelt den
glücklichen Umstand, daß wir zwei Selbstbildnisse P.s besitzen. P., für dessen
klassisch-überzeitliches Idealitätsstreben das individuelle Porträt keinen Reiz
besaß, konnte sich Chantelous Wunsch nicht entziehen. Das zweite Selbstbildnis,
wiederum ein Brustbild, entstand für Pointel. Das bedeutendere, zumindest das
bekanntere, ist wohl jenes für Chantelou: P. steht vor drei sorgfältig
gestaffelten Gemälden, auf dem das eine biographische Angaben, ein anderes
einen diademgekrönten idealen Frauenkopf zeigt, über dessen Deutung man sich
streitet.
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Der
brieflichen Auseinandersetzung mit Chantelou im Zusammenhang mit den sieben
Sakramenten verdanken wir P.s berühmte Modustheorie, die von der französischen
Akademie fortan zum verbindlichen Regelkanon erhoben wurde und den akademischen
Klassizismus normativ prägte. P. entwickelt im Anschluß an die antike Kunst-
und Dekorumstheorie einen Sujetstil, der das Bildthema zum formbestimmenden
Kriterium macht.
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Neben der
kompositionellen Gewichtung ist auch die Farbigkeit ein wesentlicher
Gestaltungsfaktor in P.s Werk. In der frühen römischen Phase ist die Palette
eher helldunkel, wird jedoch gegen Ende der 20er Jahre licht. P. nimmt damit
auch eine Gegenposition zur Helldunkelmalerei des römischen Frühbarock ein. Entsprechend
seiner Gesamtkonzeption strebt er nach Helligkeit und Klarheit auch des
Kolorits, so daß seine Farben zum Ungebrochenen tendieren. Es finden sich vor
allem Weiß und die Grundfarben Rot, Goldgelb, Blau, aber auch Rosa und Lila.
Durch strahlende Gewänder, leuchtend blaufarbenen Himmel u.ä. erzeugt P. meist
einen intensiven Farbeindruck, der sich in Verbindung mit seinen Hauptfarben
als typisch poussinesk einprägt. Oft wird die Farbe bedeutungsintensivierend
eingesetzt, so daß die wichtigeren Figuren in stärkeren Farben und höherer
Lichtaktivität erscheinen.
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P., der es
vorzog, in Italien zu leben, schuf gleichwohl die Grundlagen für einen
französischen Nationalstil. Die Kunst des französischen Klassizismus, besonders
die eines David, knüpfte direkt an P.s didaktisch-heroische Sujets an, aber
auch der in poussinesker Attitüde erstarrte Akademismus. Eine Renaissance
erlebte der Poussinismus auch in den Werken Delacroix' und Géricaults. Heute
gilt P. als einer der großen Maler der europäischen Kunstgeschichte.